Die Reifeprüfung

Mein erster Tag in der Oberstufe begann damit, dass wir uns alle in der Aula versammeln mussten. Klassen gab es in dem Sinne nicht mehr, wir wurden effizient nach Leistungskursen geordnet. Um einander erst einmal genauer kennen zu lernen, veranstaltete unsere neue Stufenleiterin erst einmal ein paar Spiele. Anschließend erhielten wir unsere Stundenpläne. Ich frage mich noch heute, wie es überhaupt schaffbar ist, insgesamt 1.500 Schüler und 150 Lehrer so zu koordinieren, dass keiner beim Unterricht zu kurz kommt.

Drei große Neuerungen gab es in der Oberstufe:

1. Wir durften entscheiden, ob wir mit „Sie“ oder „Du“ angesprochen wurden
2. War ein Lehrer krank, fiel der Unterricht aus und wurde nicht mehr vertreten
3. Wir durften im Unterricht essen und trinken und uns sogar mal schnell ein Brötchen aus der Mensa holen

Punkt zwei führte übrigens dazu, dass ich ein halbes Jahr vor dem Abitur keinen Deutschunterricht mehr hatte. Tage, an denen ich zur 1. und dann erst wieder zur 9. Stunde auftauchen musste, gab es dadurch auch ab und zu mal.

Wenn wir nicht gerade Unterricht hatten (nachdem ich Latein los war, avancierte Mathematik zu meinem Hassfach und hätte mich fast das Abitur gekostet. Nur viel lernen und ein Wunder führten in der 12. Klasse dazu, dass ich mit einer 2+ in der Klausur von einer glatten 5 auf eine 4 kam – mein Mathematiklehrer denkt sicher heute noch, ich hätte geschummelt), traf sich die ganze Stufe in ihrer Stufenecke. Das war meist irgendeine Bank im Schulflur, um die herum sich dann 50 Leute versammelten. Es gab zwar in der Mensa einen Oberstufenraum, aber der wurde so gut wie gar nicht benutzt. Lediglich der 13.  Jahrgang (ja, sowas gabs da noch), hatte eine feste Ecke, auf die immer die ganze Oberstufe scharf war.

Die Schultage plätscherten entspannt vor sich hin. Wir gingen in Museen, konnten den Lehrstoff teilweise mitbestimmen (das Nacktmodell im Kunst-Leistungskurs konnten wir aber leider nicht durchsetzen), unternahmen Lernwochenenden und feierten „Bergparties“. Unser Schulhof war hügelig und Freitagabends rottete sich die Oberstufe dort zusammen, um Bier zu trinken, Musik zu hören und Sessel zu verbrennen.

Auch in unserer Freizeit trafen wir uns ziemlich häufig, um das jugendliche Pribvileg auszukosten, dass wir Alkohol trinken durften und am nächsten Tag trotzdem halbwegs fit waren. Manchmal fuhren wir auch über die nahe gelegene Grenze, um ein wenig Gras zu kaufen. Danach haben wir dann immer lustige Filme gedreht.

Die drei Jahre vergingen wie im Flug, und obwohl mein Abitur denkbar knapp war (da mir früher in der Schule immer alles zugeflogen war, bin ich fatalerweise sehr faul geworden), habe ich es dann doch noch geschafft. Mit einem mehr schlechten als rechten Zeugnis in der Hand wurde ich auf die Welt losgelassen.

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