Die erste Erinnerung

Man sagt, dass das Gedächtnis erst dann in der Lage ist, sich Dinge bewusst zu merken, wenn man etwa drei oder vier Jahre alt ist. Und trotzdem erinnere ich mich noch heute an ein Ereignis, bei dem ich noch sehr, sehr klein war. Wie ein Schatten taucht es hin und wieder auf, wenn ich an die Zeit zurück denke, wo ich mich gerade so auf meinen kleinen Beinchen halten konnte, ohne umzufallen.


Offenbar hatte ich im Schlafzimmer meinter Eltern geschlafen (ob ich in dem Alter noch mein Bettchen dort stehen hatte, weiß ich aber nicht). Denn als ich die Küche betrat, tat ich das nicht von meinem späteren Kinderzimmer aus, sondern von der anderen Seite. Ich rieb mir die Augen – müde vom Schlaf – und sah zum Esstisch. Und nirgendwo anders hin, denn ich konnte meinen Kopf nicht mehr bewegen. Ich habe angefangen zu quengeln (allerdings war es in der Erinnerung meiner Mutter eher ein panisches Brüllen), so dass ich gleich gepackt und zum Kinderarzt geschafft wurde. Der stellte Fieber fest und noch auf seinem Behandlungstisch erlitt ich einen Fieberkrampf. Wie sich das anfühlte, weiß ich zum Glück nicht mehr. Ich erinnere mich nur noch an die Sache mit dem Hals und daran, dass wir vom Kinderarzt aus mit dem Taxi direkt in die Kinderklinik fuhren.

Wir schrieben die frühen 1980er Jahre und Krankenwagen waren offenbar rar, wenn meine Mutter lieber zum teuren Taxi griff. Wir mussten nämlich in die 25 Kilometer entfernte Kinderklinik fahren und das war schon damals kein günstiges Vernügen mit dem Taxi.

Als wir in der Kinderklinik ankamen, fragte die Schwester mich, ob ich in einem Rollstuhl auf die Station fahren wollte. Ich habe verneint. Warum, weiß ich nicht, denn eigentlich ist man als Kind ja ganz scharf darauf, mit rollenden Dingen durch die Gegend zu kurven. Vermutlich war ich einfach viel zu erledigt, um mich für solche Dinge zu interessieren. Auf der Station angekommen wurde mir erst einmal ein Zugang für einen Tropf gelegt. Und damit ich den mit meinem kindlichen Übermut nicht wieder ausriss, gipste man mir den Arm mit knallrotem Verband ein. Das war übrigens das erste und einzige Mal, dass ich einen Gipsverband trug.

Ich bekam ein Einzelzimmer, das direkt neben dem Schwesternzimmer lag. Das Praktische daran: Ich lag in einem Hochbett direkt vor einem Fenster zum Nachbarzimmer (war ich ein besonderer Fall, der besondere Beobachtung benötigte?). Jedenfalls durfte ich immer am Fenster klopfen, wenn ich ein Eis wollte. Natürlich habe ich erst später verstanden, dass das kein besonderer Service war, sondern man damit versuchte, mir zusätzlich das Fieber zu senken. Abends breitete meine Mutter ihr Schlaflager in meinem Zimmer aus – auf einer Luftmatratze. Ich weiß nicht, ob ich es verlangt habe oder ob meine Mutter selbst das entschieden hatte – jedenfalls schlief sie während meines Krankenhausaufenthaltes die ganze Zeit in meinem Zimmer. Um meinen Vater und meine Geschwister musste sie sich zum Glück nicht sorgen: Wir wohnten im Haus der Oma, wo meine Familie in Abwesenheit meiner Mutter garantiert immer mit einem guten Essen rechnen konnte.

Die Kommentare sind geschlossen.