Altersgebrechen

Ich sage das ungern, aber bald nähert sich mein 70. Geburtstag und ich merke, wie der Zahn der Zeit an uns nagt. Ja, wir sind wesentlich rüstiger als meine eigene Großelterngeneration (die stand mit 70 schon mit einem Bein im Grab – von meinen Großvätern hat sogar keiner das 60. Lebensjahr erlebt).  Wir gehen immer noch auf Reisen und unternehmen viel. Aber wenn die Tagesschau abends zu Ende ist, kann ich garantieren, dass ich auf dem Sofa einschlafe. Erst ein paar Stunden später schleppe ich mich dann ins Bett – nur um um 6 Uhr morgens wieder auf den Beinen zu sein. Mit 30 hätte ich das nie geschafft, ohne Wecker so früh wach zu werden. Aber mit 70 tickt die Uhr eben anders.

Meine Kinder haben eine riesen Party für mich vorbereitet mit gutbürgerlicher Küche, alten Fotos und Videos und vielen Vorträgen. Ich liebe es, wenn meine Enkel für mich singen und dichten – genau wie meine Oma damals, Anno 1985. Da mussten wir immer brav singen und kamen uns saudumm vor. Aber meine Oma war stolz und gab mit ihren wohlerzogenen, erfolgreichen Enkelkindern mächtig in ihrem Seniorenkränzchen an. Ich gebe zu, ich bin nicht besser. Denn ich weiß ich habe Glück: Nicht jeder in meinem Alter hat noch eine so freundliche, eng zusammenhaltende und wohlgeratene Familie. Also lasst mich doch ein bisschen angeben.

Schließlich gibt es auch genug, worüber man sich mit 70 nicht mehr freuen kann. Nicht nur meine eigenen Eltern liegen mittlerweile unter der Erde, sondern auch schon einige meiner Freundinnen. Jeden Nachmittag unternehme ich eine Tour zum Friedhof, halte an den Gräbern inne, zupfe ein wenig Unkraut und gehe dannwieder nach Hause, wo andere Aufgaben auf mich warten. Die meisten Vormittage in der Woche verbringe ich beim Arzt, denn irgendein Zipperlein habe ich immer. Früher habe ich immer gedacht, dass alte Menschen nur zum Arzt gehen, um jemanden zum Reden zu haben. Heute sehe ich das anders. Ich habe ein Vermögen an Krankenversicherungen bezahlt und jetzt wo ich Zeit habe, will ich meine Investition so gut es geht wieder herausholen. Mein Herz macht manchmal nicht mit und da meine halbe Familie an Krebs gestorben ist, werde ich von allen Ärzten mit Argusaugen überwacht. Blutdrucktabletten, etwas gegen den Cholesterinspiegel und Schmerztabletten stellen mittlerweile mein tägliches Frühstück dar. Und auch um meine Augen steht es nicht gut. Während ich links noch relativ gut sehe, bin ich rechts mittlerweile blind wie ein Maulwurf. Ich könnte mich natürlich operieren lassen, aber in meinem Alter überlegt man sich das doch lieber dreimal. Außerdem sehe ich mit einem Auge nicht schlechter, als mit einem guten und einem schlechten.

Nur Klettern gehen oder Paraglinding sollte ich wohl lieber nicht mehr ausprobieren.

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